Der Wein gilt seit Jahrtausenden als heilsamer Trank der Götter. Und so lassen wir uns den Rebensaft gerne schmecken mit dem Hinweis, dass der Wein doch schließlich so gesund sei. In diese Kerbe schlägt scheinbar auch die Wahl der Weinrebe zur „Heilpflanze des Jahres 2023“, gekürt vom heilkundigen Verein Theophrastus. Allerdings gilt die Auszeichnung der gesamten Pflanze, von den Früchten über die Traubenkerne bis hin zum Weinblatt – alle Pflanzenteile beinhalten vielfältige therapeutisch nutzbare Stoffe. Und wie immer gilt: Die Dosis macht das Gift, wie der Wildpflanzenexperte und vielfache Buchautor Dr. Markus Strauss betont. Ich habe mich mit ihm bei der Eröffnung des Ewilpa-Parks in Oederan (ein Park mit Essbaren Wildpflanzen) zum Interview getroffen. Außerdem habe ich ein Gespräch geführt mit der Frohburger Apothekerin Evelyn Lerchner.
Die Weinrebe „Vitis vinifera“ zählt zu unseren ältesten Kulturpflanzen. Bereits 3500 vor Christus wurde sie im alten Ägypten angebaut. Die Römer brachten die Weinkultur schließlich auch nach Deutschland. Im späten Mittelalter hat die Äbtissin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen dem Wein Heilkraft zugeschrieben. Noch heute wird nach ihrer Rezeptur aus weißem Wein der „Herzwein“ zubereitet.
Zitat: „Wer im Herzen…Schmerzen leidet , der koche Petersilie in Wein unter Zugabe von etwas Weinessig und reichlich Honig und seihe durch ein Tuch ab. Den so zubereiteten Herzwein trinke er oft und es heilt ihn“.
In der Neuzeit werden insbesondere dem Rotwein Herz- und Gefäßschützende Eigenschaften zugeschrieben. Dafür sprechen wertvolle Biostoffe, so der Wildpflanzenexperte und Buchautor Dr. Markus Strauss:
O-Ton: „Z.B. diese dunklen Farbstoffe bei den dunklen Trauben, was ja nachher Rotwein ergibt, da sind die Anthocyane stark vertreten und die wirken ganz stark gegen freie Radikale, also antientzündlich im Körper. Und das ist also schon mal ganz wertvoll“.
Alle Pflanzenteile enthalten außerdem Polyphenole, weiß die Frohburger Apothekerin Evelyn Lerchner.
O-Ton: „Resveratrol ist eines davon. Da gibt es sehr viele chemische Verbindungen, auch die Tanine, Gerbstoffe sind das. Das merken die Weinkenner vielleicht, wenn der Wein im Mund so ein bisschen trockener ist. Da gibt es sehr viele, die unter der Gruppe der Polyphenole zusammengefasst werden. Und dieses Resveratrol, um das geht es häufig auch im Rotwein, das hat auch diese antioxidativen Eigenschaften.“
Allerdings wird im Wein die gesundheitsförderliche Wirkung von einem Gegenspieler hintertrieben, dem Alkohol, wie Dr. Strauss betont.
O-Ton: „Der ist natürlich streng genommen Gift. Deswegen: in kleinen Dosen stimmt das schon mit dem Rotwein. Aber die Dosis ist eben so klein, dass das normale Weingenießer nicht so gerne hören. Die Dosis ist schnell erfüllt (lacht)“.
Was zu viel ist, darüber ist sich die Wissenschaft noch nicht einig. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hält ein Glas Wein pro Woche für „sicher“. Der Verein Theophrastus hat seine Auszeichnung wohlweißlich dem ganzen Weinstock zugedacht: seinen Früchten, Kernen und Blättern.
O-Ton Dr. Strauss: „Also in den Traubenkernen haben wir ein wertvolles Öl, das Traubenkernöl, und dieses wiederum enthält einen Stoff – die Kurzformel heißt OPC. Und das wirkt eben auch ganz stark als Radikalenfänger. Also es wirkt anti-inflammatorisch, würde ein Arzt dazu sagen“
Diese anti-entzündlichen Wirkung können wir uns zunutze machen, indem wir in der Küche Traubenkernöl verwenden. Oder aber, indem wir naturbelassene Trauben naschen.
O-Ton Dr. Strauss: „Da fängt die Gesundheitsvorsorge schon beim Kauf an, indem man darauf achtet, dass man Trauben mit Kernen kauft und nicht kernlose. Denn die Züchtung hat uns da schon wieder etwas Wertvolles geklaut! Und dann beim Essen wäre es wichtig, auf die Kerne drauf zu beißen. Denn wenn wir diese unzerkaut zu uns nehmen, hat die Verdauung nicht die Chance, hier etwas herauszulösen.“
Schließlich sind noch die Flavonoide hervorzuheben, die gefäßstärkend wirken. Wer unter müden, schweren Beinen und Krampfadern leidet, der kann sich die Heilwirkung des Roten Weinlaubes zunutze machen. Der Wildpflanzenexperte Dr. Strauss verarbeitet das Weinlaub kulinarisch, etwa als gefüllte Weinblätter. Um eine gute Heilwirkung zu erzielen, benötigt man nach Ansicht der Apothekerin Evelyn Lerchner allerdings ein pharmazeutisches Präparat.
O-Ton: „Weil dort mit bestimmten Extraktionsmethoden natürlich die Wirkstoffe, die für die Heilwirkung wichtig sind, ganz speziell herausgezogen werden. Also dann braucht es eine kleine Tablette oftmals, wo man sonst vielleicht große Mengen an Tee trinken müsste.“
In jedem Falle verbindet die Weinrebe auf einzigartige Weise Heilwirkung mit Genuss!
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