Was für unsere Urahnen noch selbstverständlich war, ist ziemlich in Vergessenheit geraten: Im Wald und auf Wiesen wachsen zahlreiche Wildpflanzen, die unseren Speiseplan ungemein bereichern können. Und: Wie man heute weiß, sind Wildpflanzen wahre Immun-Booster. Unweit von Chemnitz habe ich mich auf die Suche begeben nach altem Wissen und neuen kulinarischen Erlebnissen.
Dies ist ein Audio-Beitrag, der am 6. November 2020 bei MDR Kultur gesendet wurde. Aus rechtlichen Gründen hier nicht das Audio, sondern nur das Manuskript.
875 Jahre ist es her, dass die ersten Siedler über die mittelalterliche Hauptverkehrsstraße nach Garnsdorf kamen, heute ein kleiner Ort an der Schwelle zum Erzgebirge. Essen mussten die Siedler, was sie vorfanden, und das waren Wildpflanzen – von den Wurzeln, über die Blätter, die Blüten bis hin zu den Samen. Was unsere Vorfahren gesund erhielt, ist heute bei Gourmetköchen heiß begehrt: Die zarten Spitzen der Wildpflanzen, geerntet von Sonja Schulze auf ihrem Garnsdorfer Wildkräuterhof „Landsprosse“. Ein besonderes Geschmackserlebnis, das man hier auf dem Hof auch in Kochkursen kennen lernen kann.
O-Ton Sonja Schulze: „Eigentlich sind die Bitterstoffe das, was in unserer gegenwärtigen Nahrung fehlt. Wir essen zu süß, vielleicht auch zu salzig. Aber vor allem fehlen Bitterstoffe. Und in den Wildpflanzen sind deutlich mehr Vitamine, Mineralstoffe und Begleitstoffe drin und vor allem Bitterstoffe. Und weil wir bis auf Bitterschokolade kaum mehr etwas Bitteres in unserem Leben haben wollen, tut es uns gut, wenn wir wieder zu den Wildkräutern greifen.“
Für einen Wildkräutersalat eignen sich nur die jungen Spitzen der Pflanzen. Sie sind zart und schmecken noch mild. Gemeinsam mit Sonja Schulze halten wir auf der Wiese vor dem alten Bauernhaus Ausschau nach dem, was die Siedlerfrauen im Mittelalter wohl gesammelt haben. Das kommt dann auf den Mittags-Tisch.
O-Ton Sonja Schulze: „Gleich vor uns haben wir die Vogelmiere. Das ist ein sehr vitaminreiches kleines Pflänzchen, was in jedem Garten zu Hause ist. Wir haben gleich daneben ein Fingerkraut, wo wir auch noch zwei Blätter mitnehmen könnten. Was haben wir hier noch für den Salat? Wir könnten ganz junge, zarte Spitzen von dem Spitzwegerich mit rein tun. Dann nehmen wir noch dieses zarte Löwenzahnblatt“.
Es wird schnell klar, dass dieser feine Salat nichts mit dem zu tun hat, was man im Supermarkt als Wildkräutersalat kauft. Für ein Kilo sammelt Sonja Schulze drei Stunden lang – verständlich, dass man im Gourmetrestaurant dafür tief in die Tasche greifen muss. Für den Hausgebrauch reicht eine kleine Menge, die jeder im eigenen Garten, am nächsten Bachlauf oder sogar im Stadtpark sammeln kann. Regelmäßig ein paar Blättchen zu sich genommen – in Salat, Suppe oder Smoothie – ist der Effekt fürs Immunsystem von großem Wert.
Nach und nach wandern noch Pfennigkraut, Pimpinelle oder Franzosenkraut in unser Körbchen. Vieles wird von den Gärtnern meist unbeachtet weggeworfen, insbesondere der unbeliebte Giersch. Dabei eignet gerade er sich hervorragend für Pesto oder Spinat. Ein wahrer Segen fürs Immunsystem ist die Brennnessel, deren Samen man derzeit ernten und als Wintervorrat anlegen kann.
O-Ton Sonja Schulze: „Und zwar könnte man das als Superfood bezeichnen. Die enthalten ungesättigte Fettsäuren in ihrem Öl, wenn man das auspressen würde. Und da kann man z.B. die Brennnesselsamen sammeln, das ist schnell getan. Man könnte einen Frischkäse nehmen, das dann als Pannade. Beim Braten tritt das Öl aus, das sieht so ähnlich aus wie Kürbiskernöl. Und man hätte seinem Käse einen völlig anderen Geschmack verpasst.“
Welche wertvollen Vitalstoffe sich in welchem Pflänzchen verbergen, ist für die Wildkräuter-Expertin Sonja Schulze dabei nicht entscheidend.
O-Ton Sonja Schulze: „Wir leben in einer Zeit, wo wir alles in kleine Teile zerhackt haben. Und da ist uns das große Ganze verloren gegangen. Und wer sozusagen vielfältig in seiner Nahrungsmittelauswahl ist, der muss nicht gucken, was das Einzelne für Inhaltsstoffe hat, sondern er hat es in der Gesamtheit. Und wer auswählen will, wie viel Milligramm eines Stoffes da drin ist, der sollte lieber ein Pulver nehmen“.
Unterdessen pflücken wir in ihrem Garten noch farbenfrohe Blüten von Bundnessel, Malve, Rose und Borretsch. Für unseren herbstbunten Salat fehlt nun nur noch ein feines Dressing.
O-Ton Sonja Schulze: „Wir legen unsere Wildkräuter auf eine Platte und machen ein Dressing aus einheimischen Pfirsichen, die mit Gewürzen eingelegt sind. Und etwas Ysopessig und ganz normales Sonnenblumenöl. Und fertig ist unser Wildkräutersalat.“
Auf unserem Mittagstisch stehen außerdem noch eine Kürbiscremesuppe verfeinert mit Brennnesselsamen sowie als Dessert ein sächsischer Ziegenfrischkäse mit Rosenblütengelee. Farbenfroh und mild aromatisch ist die Küche von der wilden Wiese. Ein kulinarisches Erlebnis, das man sich öfter gönnen kann.